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Straßen in die Vergangenheit: Wörsdorf im Jahr 1781

Als erster Beitrag in einer kleinen Reihe historischer Namen in Wörsdorf folgt eine Betrachtung Wörsdorfer Straßennamen. Danach kommt eine Erörterung Wörsdorfer Familiennamen und später eine zur Wörsdorfer Flurnamen.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatte die Ära der Aufklärung ihr Werk getan. Philosophen und Dichter wie Immanuel Kant, Gotthold-Ephraim Lessing und Johann Gottfried Herder lehnten sich zufrieden zurück, sofern sie überhaupt noch am Leben waren, und sahen zu, wie immer mehr Leute das Lesen lernten, die Welt hinterfragten und Disziplinen wie die Geschichtswissenschaft und die Geographie entdeckten. Die Freude am Vermessen und Notieren wurde entdeckt, zumal zeitgleich auch der planmäßige Bau von gepflasterten Überlandstraßen begann. Und so sandte die Obrigkeit in zahlreichen deutschen Kleinstaaten Kartographen auf das Land, um die Namen von Gemarkungen und Straßen zu erfassen.

Das war nicht immer ganz einfach. Es hatte bisher in kleinen Örtchen wie Wörsdorf oft überhaupt keinen Grund dafür gegeben, Straßen zu benennen. Entsprechend klangen die Auskünfte der Wörsdorfer wie jede Beschreibung, die man noch heute bekommt, wenn man nach dem Weg fragt: „Da müssen Sie hinter den Hecken am Falltor vorbei und dann links über die Keilbachbrücke und gradaus, bis Sie dem Müllers Hans seinen Schrebergarten sehen.“ Oder so ähnlich. Wörsdorf erhielt im Jahr 1781 einen solchen Besuch, als das Erzbistum Trier gerade die Straße entlang der heutigen B8 ausbaute. Die Einträge im sogenannten „Hubungs- und Lagebuch“ sind heute im Hauptstaatsarchiv Wiesbaden einsehbar. Sie vermitteln ein eindrucksvolles Bild von Wörsdorf, wie es Ende des 18. Jahrhunderts aussah.

Gottfried Ephraim Lessing verstarb 1781 in Braunschweig (Bild: Public Domain)

Goldene Wörsdorfer Bäche

Die Bezeichnung „Goldener Grund“ für die Kuhle, in die sich Wörsdorf und die Heckenmühle schmiegen, geht natürlich auf den besonders fruchtbaren Boden und die satten grünen Wiesen in der Wörsdorfer Umgebung zurück. Und die verdankt das lange Tal, das sich von Wallrabenstein bis zum Idsteiner Schloss zieht, nicht nur dem Wörsbach, sondern etlichen kleinen Rinnsalen, die links und rechts in den Hügeln entsprangen und von überallher ins Tal hinab plätscherten. In einigen Namen schlägt sich das bis heute nieder, wie zum Beispiel in den Straßennamen „Wassergasse“ und „Quellenweg“ sowie dem „Nassen Berg“ (am Golfplatz). Und 1781 wimmelt es nur so von Bächen und Lachen und Furten: Da wären die „alte Bach“ – „die“ Bach in Wörsdorfer Mundart selbstverständlich feminin –, die Stauerbach und Kirchbach (auch: Kirrbach), die Knallbach und die Zuschenbach (heute: Zissenbach, als Straßenname am Idsteiner Sportplatz im Gebrauch). Von „Fluthen“ und „Schwemmen“ ist die Rede, also von überflutungsanfälligen Bachufern, wie auch von „dem Furt“, dem „Acker zwischen den Bächen“, dem anderen Acker „durch die Bach“. Hinzu kommen der „Ente-Pfuhl“, „Leppers Lach“ (dem Herrn Lepper sein Teich) und die Brunnen, an denen es natürlich nicht mangelte. Der Straßenname „Bornwiese“ ist für so einen Brunnen ein schönes Beispiel.

Fröhlich geht es rauf und runter

Wo ein Wasserlauf, da auch ein Graben. Kein Wunder also, dass es vor den Begradigungen, die mit dem Bau moderner Straßen einhergingen, vor Graben im Wörsdorfer Sprachalltag nur so wimmelte: Den „Metzengraben“ und „Schindgraben“ kennt man noch. Da wären 1781 zudem unter Anderem noch der Acker „untig Krämer hanßen Graben“ (der Graben vom Krämer Hans), das „Fluthgräbchen“, der „Feutsgrabn“ (der Graben des Vogts), der „große“ und der „kleine Viehgraben“, der „Brand-Eiche-Grabe“ (Graben mit der Brandeiche), aber auch die „Buche-Delle“ (die Vertiefung mit den Buchen drin), der „Grabe-Hau“ (Forstbereich im Graben) und das „Meckel-Grabe-Stück“ (dem Meckel sein Ackerstück im Graben). Verweise auf einen Acker „im Klingen“ und auch einen „Klingenweg“ gehen auf das heute nicht mehr gebräuchliche Wort „Klinge“ für einen Graben mit Bachlauf zurück. Die vielen „Berge“ in der Wörsdorfer Umgebung vermitteln derweil den Eindruck, Wörsdorf befände sich in den Alpen. Aber der typische Wörsdorfer, der es damals im Leben kaum einmal zum Feldberg schaffte, hatte diese Perspektive noch nicht. Und wenn man den Walsdorfer Berg einmal zu Fuß erklimmen musste, fühlt er sich auch gleich größer an. Da wären der „Linzenberg“ (Linsenberg), der „Schiffer-“ oder „Schieferberg“ (Richtung Wallrabenstein), der „Kirchberg“, der „Krollberg“ (Geröllberg, hinterm Steinchen).

Äcker und Gärten

Und was macht man mit solch hervorragender Bewässerung und vitaminreichen Wiesen? Man hält natürlich Tiere. Die Straßen weisen auf Gänse und Enten hin, auf Vieh und Säue – Pferde sind abwesend, waren den bodenständigen Wörsdorfern aber womöglich auch eine Nummer zu fein, wenn man vom einen oder anderen Ackergaul absieht. Und apropos Acker: Für die Landwirtschaft eignete Wörsdorf sich ebenfalls bestens. Davon sprechen beispielsweise der „Schul-Acker“, die „Ackerlick“ (Ackerlücke – heute noch im „Ackerlicker Weg“) und der „Pforte-Garten“, „Geberts Garten“ und die „Lorenzen Gärten“, der „Hahngarten“ (Hain-Garten) und das „Schnepfengärtchen“ (für die Stadtkinder: Schnepfen sind Vögel, die – Überraschung! – gerne am Wasser wohnen). Als Synonym für den Acker ist auch der Begriff „Stück“ sehr verbreitet: das „Gezäunt-Stück“ zum Beispiel, das „Krumme Stück“ oder das „Geiß-Stück“, wo Ziegen gehalten wurden. Wer mehrere Erben hatte, teilte seinen Acker nämlich typischerweise längsseitig in lange, dünne Streifen auf. Sagen wir mal, den Großmanns ihr Hannes heiratet den Christen ihre zweite Tochter Katharina und erbt in Folge die Hälfte vom Christen seinem Acker, ergibt es viel mehr Sinn, vom Großmann Hannes‘ Stück anstatt von seinem Acker zu reden. Ein Überbleibsel aus dieser Zeit: der heutige Straßenname „Hinter den Gärten“.

Die Ringmauer

Die hinter der evangelischen Kirche verlaufende Ringgasse dürfte nach der sogenannten Ringmauer benannt sein. Sie ist 1781 noch belegt und verlief wohl als südöstliche Dorfgrenze an der Ringgasse entlang – vermutlich als Schutz vor Fremden mit bösen Absichten, denn in dieser Richtung verlief die verkehrsreiche „Hohe Straße“ von Limburg an der Lahn nach Frankfurt am Main. Sie endete, wo die Ringgasse heute noch endet, nämlich an der Kreuzung Hauptstraße – Henriettenthaler Straße – Ortsausgang Richtung Walsdorf. Wer Wörsdorf hier betreten wollte, musste das sogenannte Untertor passieren. Sein Gegenstück – das Obertor – befand sich vermutlich auf der gegenüberliegenden Dorfseite auf Höhe der heutigen Scheuer. Im Wörsdorfer Lagerbuch ist außerdem von einem „Faller“ (Falltor) und dem „Fall-Tor-Garten“ die Rede; vielleicht ist damit das Obertor, vielleicht aber auch ein weiteres Tor gemeint.

Wörsdorfer Wirtschaft

Natürlich geben die Straßennamen auch Hinweise darauf, welche Geschäfte in Wörsdorf betrieben wurden oder an welche man sich zumindest 1781 noch erinnerte. In den 1770ern finden sich Hinweise auf ein „Backhaus“ oder „Backoffen“. Auf diverse Holzfälleraktivitäten verweisen unter anderem der „Grabenhau“ und der „Ochsenhau“. Die Existenz eines „Pfarrgarten“ ist fast selbstverständlich, doch auch ein „Nonnenstück“ ist verzeichnet. Dem Vogt sein Graben und der Schule ihr Acker wurden bereits genannt. Zudem geben zahlreiche Straßennamen Hinweise auf die Existenz von zumindest zwei Wörsdorfer Mühlen. Freilich kennen wir aber auch aus anderen Quellen Betriebe aus dieser Zeit: die in jedem Dorf hochgeschätzte Branntweinbrennerei (im heutigen Feuerwehrgerätehaus), ein Gasthaus, die „Mahlmühle“, die „Schlottermühle“ und die „Heckenmühle“ und die zahlreichen bereits erwähnten Wörsdorfer Bauern, Hirten, Jäger und Holzfäller, der Förster und so weiter.

Übrigens: Im Vergleich zu den Flurnamen aus Dörfern in ähnlichen Zeiten fällt auf, dass jeglicher Hinweis auf einen Hinrichtungsplatz fehlt (wie z.B. der „Richtberg“ in Wehrda, das „Henker-Stück“ in Büttelborn, die „hintersten Galgen“ in Wetzlar und viele andere). Man griff wohl auf die in der Prozessführung seit der Hexenverfolgung sehr geübten Idsteiner Institutionen zurück. Vom gelegentlichen Werwolf und einem Serienmörder abgesehen sind allerdings in der Wörsdorfer Geschichte nur wenige Verbrechen belegt.


Autorin: Dr. Angelika Niere

Quellen: Wörsdorf im Wandel der Zeit (Schulz-Kirchner-Verlag), Flurnamenverzeichnis im Landgeschichtlichen Informationssystem Hessen (LAGIS, www.lagis-hessen.de)

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